Es ist schon eine Weile her, vielleicht 10 Jahre, da ging es in einem Handelsunternehmen vor allem darum, dass die Verkaufsfläche ordentlich aussieht, genug Ware in den Regalen ist, die Preisauszeichnung stimmt, die Aktionsflächen ansprechend gestaltet sind und die Werbeware bereitsteht. Sicher, auch das Außengelände erforderte Aufmerksamkeit. Die Kunden hatten ihre umliegenden Einkaufsstätten im Blick und im Idealfall warteten sie schon auf die neue Werbebeilage. Vieles davon ist heute nach wie vor wichtig.
Denkt man aber heute vom Kundenverhalten her, stellt man schnell fest, dass sich das Einkaufsverhalten der Kunden radikal verändert hat.
Heute beginnt die „Customer Journey“ häufig mit dem Smartphone, dem Tablet oder dem PC. Der Kunde findet online sämtliche Produkte von allen möglichen Anbietern, macht Preisvergleiche und über die Kundenbewertungen erhält er auch noch für den Kauf entscheidungsrelevante Hinweise. Auch Gestaltungsanleitungen beschafft er sich heute online, für viele Aufgaben gibt es sogar kostenlose Videos. Dieses Vorgehen praktizieren viele Kunden nunmehr schon seit Jahren, sogar mit einer erstaunlichen Routine.
Der Kunde erwartet heute eine große Auswahl, Visibilität, Content, schnelle Lieferung, bequeme Retourenabwicklung und die Möglichkeit des schnellen Dialoges mit dem Händler, elektronisch versteht sich. Fast alle Unternehmen sprechen aus ihren Unternehmenszentralen heraus von Omnichannel – Handel, die einzelnen Standorte arbeiten aber oftmals noch nach konventionellen Verkaufspraktiken.
Laut vielen Kundenbefragungen schätzen die Kunden die Geschwindigkeit des Internets und gleichermaßen die persönliche Beratung und Betreuung durch einen Mitarbeiter auf der Verkaufsfläche. Sie unterscheiden mittlerweile gar nicht mehr zwischen Offline und online. Sie kaufen gerne schnell über das Internet ein, schätzen aber nach wie vor die schöne und manchmal auch verführerische Atmosphäre einer gut sortierten Filiale mit freundlichen und kompetenten Mitarbeitern. Es geht heute also um eine bessere Verzahnung beider Welten, d.h. in der Filiale die Digitalisierung erlebbar zu machen und im Internet auf die Vorteile des persönlichen Gespräches, die Möglichkeiten des Anfassens und Ausprobierens hinzuweisen.
Hierfür gibt es aber in den meisten Unternehmen noch keine geeignete Strategie. Das heißt oftmals: Digitalisierung und Online -Handel ist Aufgabe der Zentrale, konventionelles Verkaufen ist die Vorgehensweise der lokalen Filiale. Beide Welten sind sich somit nach wie vor fremd.
Die Symbiose von online und offline in der Filiale könnte dazu führen, dass Führungskräfte und Mitarbeiter professionelle Berater für ein kuratiertes Einkaufen werden, weil sie sich auskennen und wissen, was wo angeboten und diskutiert wird. Sie selektieren, ordnen und verweisen auf Quellen und Möglichkeiten und prüfen kompetent die Relevanz für den Kunden und bieten somit einen echten Nutzen, egal, ob der Einkauf letztendlich vor Ort oder online getätigt wird, Hauptsache im eigenen Unternehmen.
Vielen Unternehmen ist das längst klar, aber die konkrete Umsetzung vor Ort kommt oftmals nicht voran. Woran liegt das?
Zwei Gründe können hierfür angeführt werden:
- Die Notwendigkeit der Digitalisierung wird zwar eingesehen, aber vor allem die Führungskräfte kennen keine geeigneten Umsetzungsstrategien, die in den normalen Tagesablauf eingebettet werden können.
- Führungskräfte und Mitarbeiter teilen dieses Ziel nicht wirklich (Ja sagen, aber nein meinen). Häufige Argumente sind: Was sollen wir denn noch alles machen…, Unsere Mitarbeiter können das gar nicht…. usw.
Wie kann ein Coaching auf der Fläche hier weiterhelfen?
Fehlen den Führungskräften und Mitarbeitern die geeignete Umsetzungsstrategien, dann bietet das systemische Coaching gute Möglichkeiten, diese gemeinsam und passgenau für die handelnden Akteure vor Ort zu entwickeln. Wenn jedoch die Führungskräfte und Mitarbeiter diese Ziele nicht wirklich erreichen wollen, dann besteht die immense Herausforderung darin, zuerst die Bereitschaft und Rahmenbedingungen zu entwickeln, damit alle Beteiligten auch tatsächlich bereit sind, diese Herausforderung zu meistern. Auch hierfür bietet das Coaching zielführende Möglichkeiten.
Damit aber ein Coaching erfolgreich sein kann, muss der Coach zunächst einmal herausfinden, was genau fehlt.
Die Gleichung Ist-Zustand plus Coaching ist gleich Ziel-Zustandgreift allerdings zu kurz.
Es geht um Ressourcen, die vor Ort fehlen und die gefunden oder erarbeitet werden müssen, damit der Coachingprozess zu einem Erfolg führen kann. Diese Ressourcen können sehr unterschiedlicher Art sein:
- Fehlt es an technologischen und strukturellen Voraussetzungen, dann geht es um Investitionen und Restrukturierung.
- Fehlen Kenntnisse im Umgang mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, dann hilft in der Regel eine geeignete Schulung.
- Fehlen Fähigkeiten im Umgang mit den entsprechenden Technologien, dann hilft ein geeignetes Training
- Fehlt es an einer Identifizierung mit dem Ziel und den damit einhergehenden Aufgaben,kann ein persönliches Coaching zielführend sein, damit ein Verhalten entgegen sonstiger Gewohnheiten angegangen werden kann und eventuelle persönliche Unsicherheiten überwunden werden können.
Erst wenn diese Felder gut versorgt sind, kann eine Digitalisierungsstrategie im Handel gelingen
Rolf Karges
(Senior Consultant, Coach und Kommunikationsberater)